Die Parkplatzwächterin von Rosenhagen, wo Peter Nicolai jetzt sein "Seekajakzentrum" unterhält, erzählte mir 1998, dass sie an schönen Sommertagen in Pötenitz den Strandlärm von Travemünde hören konnte. Für sie wäre es einen Steinwurf weit zur Ostsee gewesen - wohlgemerkt noch auf DDR-Gebiet. Um baden gehen zu können, hätte sie 25 Kilometer nach Boltenhagen fahren müssen. Sie besaß damals wie viele in der DDR kein Auto und die Busse waren meist überfüllt.
Das Grenzsperrgebiet unterlag schärfster Überwachung, aber auch die zugänglichen Küstenabschnitte wurden nachts mit starken Scheinwerfern abgeleuchtet und von bewaffneten Patrouillen begangen. Strandbesucher wurden spätestens dann aufgefordert, den Bereich unverzüglich zu verlassen.
Dies ist mir u.a. auf dem Darss und auf Hiddensee gut erinnerlich. Hier spielte die relative Nähe zu Dänemark eine Rolle. Auch das legendäre Feuerschiff "Gedser", Ziel einiger DDR-Flüchtlinge, war gelegentlich gut auszumachen.
So entsprach es der Logik des Regimes, dass die Außenküste generell für den Wassersport gesperrt war. Spärlichst an Segler vergebene Ausnahmegenehmigungen ("PM18") für das Befahren der Ostsee hatten somit den Wert eines Ausreisevisums aus der DDR.
Für den Wassersport waren die Boddengewässer freigegeben. An allen natürlichen Übergängen
zur Ostsee endete dann der Spaß. "Grenze der inneren Seegewässer im Bereich der Grenzzone"
war deutlich auf der Wassersportkarte eingezeichnet. Wer nicht in den Verdacht kommen wollte, den Staat herauszufordern, hielt Abstand.
So wurde ich am 3.5.1987 in Rostock auf dem Hauptbahnhof beim Umsteigen zwischen zwei Zügen von der Trapo angehalten, weil ich ein Paddel dabei hatte. Siedendheiß fiel mir ein, dass ich ohne den obligatorischen Personalausweis unterwegs war. Da ich wusste, dass ein paar Tage zuvor von Warnemünde aus eine Flucht über die Ostsee gelungen war, und die Polizei mich zur zweifelsfreien Feststellung meiner Personalien 24 Stunden hätte festhalten dürfen, redete ich mit scheinbar größtem Verständnis für die "Genossen von der Transportpolizei und ihren schweren Dienst" so lange, bis sie sich mit dem Personalausweis meiner Freundin und meinem deutlich verschlissenen Studentenausweis zufrieden gaben. Außerdem versprachen wir, den Bahnhof nicht zu verlassen.
Weniger Glück hatte am selben Tag ein Sportfreund aus Berlin der nach unserer gemeinsamen Paddeltour auf Schweriner Gewässern mit Canadier auf dem Trabi-Dach seine Schwiegermutter in spe besuchen wollte. Sein Ziel war Grevesmühlen, die nordwestlichste Kreisstadt der DDR, außerhalb des Sperrgebietes gelegen. Für ihn haben sich die Polizisten mehr Zeit genommen.
Besonders wurden auch auf den Bahnhöfen die Gepäckaufbewahrungen und Reisegepäck-Abfertigungen observiert. Dabei taten sich einige wenige Eisenbahner mit besonderem Ehrgeiz hervor und verlangten die Personalien der Bootsbesitzer.
Meinem Greifswalder Freund Wolfram Würfel widerfuhr folgendes: Er war im September 1980 in der CSSR auf der Luznice unterwegs und schickte nach Ende der Fahrt sein Zweierfaltboot als Bahngepäck nach Greifswald zurück. Dort angekommen, legte er am Gepäckschalter seinen internationalen, von der tschechischen Eisenbahn (CSD) ausgestellten, Gepäckschein vor, um das Boot auszulösen. Darauf hin hatte er sich bei der Transportpolizei zu melden. Wortlos zeigte er auch dort seinen tschechischen Gepäckschein vor. Der Volkspolizist, sichtlich um Verständnis bemüht, fragte ihn mit gebrochenem Akzent "Sprähhen Sie deitsch?" Als Wolfram in Gelächter ausbrach "Sie können ruhig ordentlich mit mir reden", war Schluss mit Lustig.
Trotz dieser, zuweilen einer gewissen Tragikomik nicht entbehrenden, nervigen Umstände wurde auch im Norden der Republik intensiv gepaddelt. Rostock, Stralsund, Greifswald und Wolgast waren im DDR-Maßstab Hochburgen des Wasserwanderns, was zahllose Mannschaftswertungen bei DDR-offenen Vergleichen (Kanutouristischer Mehrkampf, Faltbootregatten etc.) belegen.
spierentonne.de - über das Leben am, im und auf dem Wasser ©Roland Stelzer Impressum