Zum Glück hatte mein Freund Schmidter ein Radio an Bord, als ich 1976, gerade 14-jährig, an meiner ersten DDR-offenen Wanderfahrt, der V. Freundschafts-Oder-Fahrt, teilnahm.
Die Oderfahrt startete damals in Frankfurt, übernachtet wurde in Schulen und nicht im Zelt. Der Fahrtenleiter war wie heute Hilmar, und wenn man weiß, dass er inzwischen ein sehr würdiges Alter erreicht hat, kann man sich ausrechnen, dass er damals auch noch ein ziemlich junger Kerl gewesen sein muss.
Die interessanten Begebenheiten spielten sich für uns kleine Jungs eher an Land ab. Die Landschaft empfanden wir als reizarm, und deshalb war uns das Kofferradio sehr willkommen. Damals herrschte noch ein strenges Grenzregime an der Oder. Immerhin durften wir überhaupt auf dem Grenzfluss zwischen "Bruderländern" paddeln. Für die Pausen waren ausgewiesene Rastplätze zu nutzen, das Betreten des polnischen Ufers war selbstredend verboten.
In Kienitz hatte ich meine erste 50-km-Tour bewältigt - nicht schlecht für mein Alter. Den abendlichen Gang in die Kneipe hatte ich mir also redlich verdient. Leider tagte im Saal der örtliche Anglerverein, weswegen den vielen Kanuten nur ein kleiner Nebenraum in der Kneipe zur Nutzung frei stand. Jetzt erfahre ich von Hilmar, dass er damals ziemlichen Ärger mit der Kneipenchefin bekam. Zwei Kanuten hatten es sich auf dem Kachelofen gemütlich gemacht.
Die Ofensitzer wurden durch Wolgaster Kanuten gut mit Bier versorgt. "Ihr sollt auch was haben." - Die Solidarität der Nordlichter funktionierte.
37 Jahre später kam es raus: Ich war einer der Übeltäter auf der warmen Sitzgelegenheit.
Ein paar Jahre danach nahm ich auf der FOF noch einmal einen prominenten Platz ein. Als Hilmar als Gegenleistung für die Übernachtung in Kienitz eine Kranzniederlegung am Denkmal für die ruhmreiche Sowjetarmee durchführen sollte, hatte ich die sonderbare Ehre, den piekenden Kranz zum Denkmal zu tragen.
Das nächste Etappenziel war Hohensaaten. Dort feierten wir den seinerzeit auf jeder Wanderfahrt üblichen Kanutenball. Es muss mir gut gefallen haben, denn ein paar Jahre darauf schrieb ich im "Kanusport" von "rauschenden Kanutenbällen in Hohensaaten", was Hilmar seit Jahrzehnten wohlwollend zitiert. Die Überschrift des Kanusport-Artikels (1980) lautete "Fröhliches Kilometerschinden auf der Oder".
Auf der letzten Etappe nach Schwedt hatten wir bei den Kilometern ein wenig getrickst. Eine Abkürzung nach Schwedt führte durch den Schwedter Polder. Damals war er noch befahrbar, man musste nur zweimal über den Deich umtragen. Allerdings übersahen Schmidter und ich einen Eisenträger unter Wasser. In der Folge drohten wir mitten auf dem Kanal, etwa 500 m vor dem Ziel, abzusaufen. Wir hatten Glück, ein Motorbootfahrer schleppte uns kurzerhand zum Bootshaus der BSG Erdöl Schwedt. Das Radio war jedoch im Eimer.
Bis heute findet die Freundschafts-Oder-Fahrt statt, Hilmar und seine Frau Philline sind wie immer dabei. Die Oder ist viel schöner geworden, keine Grenzer, kaum Schiffsverkehr und eine betörend schöne Natur. Gefahren wird alle zwei Jahre von Eisenhüttenstadt bis Schwedt, übernachtet wird in Zelten, den Kanutenball gibt es nicht mehr und durch den Polder kann man nicht mehr abkürzen. Das Sowjetdenkmal steht immer noch in Kienitz, nur der Kachelofen in der Kneipe ist abgerissen.
Ende
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